In unserer modernen Gesellschaft wird der Begriff „Selbstsabotage“ häufig verwendet, um Verhaltensweisen zu beschreiben, bei denen Menschen scheinbar absichtlich Dinge tun, die ihnen schaden. Von Prokrastination über Perfektionismus bis hin zu destruktiven Beziehungen – diese Muster werden oft als mangelnde Selbstdisziplin oder als Versagen interpretiert. Doch häufig steckt hinter der Selbstsabotage viel mehr, als es auf den ersten Blick scheint.
Selbstsabotage wird allgemein als die bewusste oder unbewusste Handlung beschrieben, die eigene Ziele, Wünsche oder das eigene Wohlbefinden zu untergraben. Beispiele hierfür sind das Aufschieben wichtiger Aufgaben, das Hinauszögern des Schlafengehens trotz Müdigkeit oder das Festhalten an ungesunden Gewohnheiten, obwohl man sich des Schadens bewusst ist. In Beziehungen äußert sich Selbstsabotage oft in der Form, dass man Nähe vermeidet, Konflikte provoziert oder sich immer wieder in destruktive Musterverstrickt.
Doch was, wenn das, was wir als Selbstsabotage bezeichnen, in Wirklichkeit tief verwurzelte Überlebensstrategien sind, die uns in der Vergangenheit geholfen haben, in einer unsicheren oder bedrohlichen Umgebung zu überleben?
Frühste negative Erlebnisse in Kindheit und Jugend, insbesondere frühe traumatische Erfahrungen, prägen das Nervensystem und beeinflussen die Art und Weise, wie wir später im Leben auf verschiedene Situationen reagieren. Für ein Kind kann es zum Beispiel überlebenswichtig sein, seine eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken, um die Bindung zu den Eltern aufrechtzuerhalten. Diese Anpassungsstrategien werden zu Überlebensmechanismen, die auch im Erwachsenenalter fortbestehen, selbst wenn sie nicht mehr dienlich sind.
Eine häufige Folge von Erfahrungen ist das Festhalten an bekannten, aber destruktiven Mustern, weil diese Muster einst Sicherheit geboten haben. So bleiben Menschen beispielsweise in ungesunden Beziehungen, nicht weil sie sich selbst schaden wollen, sondern weil sie gelernt haben, in solchen Kontexten zu überleben. Neue, unbekannte Situationen wirken dagegen bedrohlich und unberechenbar. Lieber das bekannte Übel als das Unbekannte.
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass Menschen sich bewusst selbst schaden. In Wahrheit handelt es sich bei dem, was wir als Selbstsabotage interpretieren, um tief verankerte Schutzstrategien. Diese Strategien haben das Ziel, Sicherheit zu schaffen – auf eine Weise, die in der Vergangenheit notwendig war, um im damaligen Umfeld bestehen zu können.
Auch Verhaltensweisen wie Perfektionismus oder Prokrastination können als Versuche verstanden werden, Kontrolle über eine Situation zu erlangen. Ein Perfektionist, der als Kind oft kritisiert wurde, versucht vielleicht, durch makellose Leistung Anerkennung zu gewinnen und sich vor weiterer Ablehnung zu schützen. Prokrastination kann dagegen Ausdruck von Angst sein – die Angst vor Versagen oder davor, die eigenen hohen Ansprüche nicht erfüllen zu können. Oder sogar eine Folge falscher Loyalität gegenüber bedeutsamen Personen.
Daran geknüpft ist ein weiterer Aspekt, der im Zusammenhang mit Selbstsabotage eine wichtige Rolle spielt, ist die so genannte Introjizierung. Kinder neigen dazu, die Urteile und Meinungen ihrer Bezugspersonen in ihr eigenes Selbstbild zu übernehmen. Werden einem Kind ständig negative Botschaften vermittelt, wie etwa, dass es wertlos ist, wird es diese Überzeugungen internalisieren und sie als Wahrheit akzeptieren.
Diese introjizierten Glaubenssätze und Überzeugungen beeinflussen das Verhalten im späteren Leben massiv. Sie können dazu führen, dass Menschen sich selbst sabotieren, indem sie unbewusst die negativen Erwartungen ihrer Kindheit erfüllen.
Der erste Schritt zur Veränderung von Verhaltensmustern, die als Selbstsabotage interpretiert werden, ist das Verständnis ihrer Wurzeln. Es geht darum, zu erkennen, dass diese Muster einst notwendig waren, um sich anzupassen, und dass sie heute nicht mehr dienlich sind. Anstatt sich selbst zu verurteilen, sollten wir mit Mitgefühl und Verständnis auf unsere Verhaltensweisen blicken.
Ein zentraler Aspekt ist die Selbstannahme. Menschen, die mit frühen negativen Kindheitserfahrungen leben, müssen lernen, sich selbst zu schätzen und ihre eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen. Dieser Prozess kann schwierig und schmerzhaft sein, da er oft bedeutet, sich von alten Überzeugungen zu lösen und neue Wege zu finden, Sicherheit und Selbstwert zu erleben.
Um diese destruktiven Muster zu durchbrechen, ist es entscheidend, die zugrunde liegenden Glaubenssätze zu erkennen und zu verändern. Dies erfordert oft professionelle Unterstützung, da die introjizierten Überzeugungen tief verwurzelt und schwer alleine zu überwinden sind. Der Prozess der Veränderung umfasst die Anerkennung des Erlittenen, das Entlarven der Schutzstrategien und das Entwickeln neuer, gesunder Wege, mit den eigenen Bedürfnissen und Emotionen umzugehen.
Indem wir uns selbst mit Mitgefühl begegnen und die Dynamiken hinter der sogenannten Selbstsabotage verstehen, können wir den Weg zur Selbstbefreiung beschreiten. Die Überwindung dieser Muster ist möglich – und sie beginnt mit der Erkenntnis, dass wir uns nicht wirklich selbst sabotieren, sondern einfach auf alte, überholte Weisen versuchen, Sicherheit zu finden.