Persönlichkeit
March 26, 2024

Einsamkeit als innerer Zustand: Ein komplexes Thema

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Innere Einsamkeit ist ein komplexes Thema

Text zuletzt geändert am 26.03.2024

geschätzte Lesezeit: ca. 7 min.

In unseren Beratungsgesprächen stoßen wir immer wieder auf die tiefgreifenden Auswirkungen der inneren Einsamkeit - ein Phänomen, das oftmals weniger mit der Abwesenheit anderer zu tun hat, als vielmehr mit der Verlassenheit des eigenen Selbst. Die Erforschung der inneren Einsamkeit beginnt oft mit einem scheinbar einfachen Eingeständnis: „Ich weiß einfach nicht, was ich mit mir anfangen soll.“ Dieser Satz kann eine grundlegende Entfremdung von den eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Gefühlen widerspiegeln. Es kann sich anfühlen, als hätte man den Kontakt zum inneren Selbst verloren. „Es ist, als ob ich in einem leeren Raum stehe, umgeben von Spiegeln, die nichts reflektieren“, beschrieb ein Klient seine Erfahrung von Einsamkeit.

Dieses Bild ist bezeichnend für das Gefühl der Leere und Orientierungslosigkeit, das Menschen erleben, wenn sie den Kontakt zu sich selbst verloren haben. Ein anderer Klient meinte: „Ich habe all diese Mauern um mich herum gebaut, damit ich nicht fühlen muss. Jetzt bin ich in meinen eigenen Konstruktionen gefangen.“ Diese Metapher veranschaulicht, wie der Versuch, unangenehme Gefühle zu vermeiden, paradoxerweise zu einer noch tieferen Form der Einsamkeit führen kann. Bei der Arbeit mit diesen Menschen wird häufig deutlich, dass Einsamkeit oft ein innerer Prozess ist, der aus der Entfremdung von sich selbst entsteht. Sich dieser inneren Distanz bewusst zu werden, ist der erste Schritt zur Wiederentdeckung der verlorenen Teile des eigenen Ichs.

Indem man sich mit den abgespaltenen Gefühlen und Gedanken auseinandersetzt und sie integriert, kann man wieder beginnen, sich als Ganzes zu erleben. Innere Einsamkeit wird oft durch komplexe psychologische Prozesse verursacht und hat oft wenig mit äußerer Einsamkeit zu tun. Hier sind fünf Gründe, die zu innerer Einsamkeit führen können:

1. Selbstentfremdung
Ein Hauptgrund für innere Einsamkeit ist die Entfremdung von sich selbst. Dies geschieht, wenn Menschen den Kontakt zu ihren eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Wünschen verlieren. Sie hören auf, ihren inneren Stimmen Aufmerksamkeit zu schenken und diese zu verstehen, was dazu führt, dass sie sich isoliert und von ihrem wahren Selbst abgekoppelt fühlen.

2. Mangel an innerer Verbundenheit
Selbst inmitten von sonst guten Beziehungen kann Einsamkeit entstehen, wenn man nicht in der Lage ist, eine tiefe Verbindung zu seinem eigenen Selbst herzustellen. Dies geschieht, wenn Menschen sich in ihren Beziehungen verlieren oder ihre wahren Gedanken und Gefühle unterdrücken, um Konflikte zu vermeiden oder um anderen zu gefallen. Sie leben dann eine Fassade, die sie von ihrem authentischen Selbst isoliert und zu einem Gefühl der inneren Leere und Einsamkeit führt.

3. Unterdrückung von negativen Gefühlen
Viele Menschen neigen dazu, negative Gefühle wie Traurigkeit, Angst oder Wut zu unterdrücken, weil sie zu schmerzhaft oder schwierig zu bewältigen sind. Diese Verdrängung kann dazu führen, dass sie sich von wichtigen Teilen ihres Selbst abspalten. Mögliche Folgen sind Gefühle der Leere und Einsamkeit.

4. Mangelnde Selbstakzeptanz
Ein weiterer Faktor ist ein Mangel an Selbstakzeptanz. Menschen, die sich selbst nicht akzeptieren können, sei es wegen ihres Aussehens, ihrer Persönlichkeit oder ihrer Vergangenheit, erleben oft eine innere Spaltung und Distanz zu sich selbst, was zu einem Gefühl der Isolation führt.

5. Chronische Selbstkritik und Perfektionismus
Ständige Selbstkritik und das Streben nach Perfektion können ebenfalls zu innerer Einsamkeit führen. Indem Menschen unerreichbare Maßstäbe an sich selbst anlegen und sich ständig für ihre Fehler und Unzulänglichkeiten kritisieren, schaffen sie eine innere Barriere, die sie von ihrem wahren Selbst und einem erfüllten Gefühlsleben trennt.

Diese Gründe zeigen, dass innere Einsamkeit oft ein Ergebnis komplexer innerer psychologischer Dynamiken ist und nicht unbedingt mit der physischen Abwesenheit anderer Menschen zusammenhängt. Anhaltende Einsamkeit ist vor allem ein Zustand, der durch die Beziehung einer Person zu sich selbst entsteht und aufrechterhalten wird. Ein weiterer Aspekt, der in der Beratung oft übersehen wird und der die innere Einsamkeit verfestigt und manchmal zementiert, liegt in der identitätsbildenen Art chronischer Gefühlslagen bei betroffenen Person.

Wenn sich die innere Einsamkeit über einen längeren Zeitraum verfestigt hat, oft aufgrund eines oder mehrerer der oben genannten Probleme, wird dieser Zustand und die damit verbundenen Erfahrungen schließlich zu einem Teil unserer Identität. Die Einsamkeit wird dann als integraler Bestandteil unseres Wesens empfunden; sie erscheint natürlich und unveränderlich. Diese Verinnerlichung der Einsamkeit als Teil unserer eigenen Identität macht Veränderungen besonders schwierig. Die menschliche Psyche reagiert oft äußerst defensiv, wenn wir beginnen, an unserer Identität zu „rütteln“. Das Festhalten an dem Gefühl der Einsamkeit, selbst wenn es als problematisch empfunden wird, kann paradoxerweise auch eine Art Konfliktlösung sein. Es erlaubt uns, in einem vertrauten – wenn auch schmerzhaften – psychischen Raum zu verweilen.

Dieses Festhalten an der Einsamkeit, auch wenn sie uns unglücklich macht, kann auf einer tieferen Ebene eine Bewältigungsstrategie sein. Sie dient dazu, uns vor der Angst zu schützen, die mit Veränderungen und dem unbekannten Territorium jenseits der Einsamkeit einhergeht. Der Konflikt liegt also nicht nur in der Einsamkeit selbst, sondern auch in der Angst davor, was es bedeutet, diese Einsamkeit zu überwinden und sich einer neuen, unbekannten Identität zu stellen, allen voran der Erfahrung dazu zu gehören. Denn diese Erfahung kann für den Einzelnen teils als schmerzhafter erlebt werden als die allzuvertraute Einsamkeit. Klingt paradox, ist es auch, lässt sich aber in der psychologischen Beratung häufig beobachten.

Die Arbeit an der inneren Einsamkeit ist ein Weg, sich selbst in seiner Gesamtheit wiederzuentdecken und zu akzeptieren. Es geht darum, die Mauern, die man um sich herum aufgebaut hat, Schicht für Schicht abzubauen und sich wieder mit seinem wahren Selbst zu verbinden. In diesem Prozess erkennen Menschen oftmals, dass das Alleinsein nicht das Problem ist, sondern die Art und Weise, wie sie mit sich selbst umgehen. Die Reise aus der inneren Einsamkeit ist eine Reise zu einem tieferen Verständnis und einer liebevolleren Beziehung zu sich selbst.

Fühlst du dich auch oft einsam und erkennst dich in diesen Zeilen wieder? Dann kontaktiere unsere Psycholog:innen und wir finden die Lösung für dein Problem.